Abiturrede 2019
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sehr geehrte Eltern, Gäste, Kolleginnen und Kollegen,
ich verabschiede heute einen für mich besonderen Abiturjahrgang – denn wir alle haben hier vor 8 Jahren gemeinsam am KGH angefangen. Ich weiß noch genau, wie ich Ende August 2011 in meiner Rede zur Schuleinführung auf diesen Fakt hingewiesen habe. Ich kann mich erinnern, wie Ihr da alle gesessen habt, noch ganz die aufgeregten Grundschüler, die ihre Lehrer mit „Du, Tante“ angeredet haben. Damals ward Ihr so voll Hoffnung und hattet viele Pläne, es liegt in der Natur der Dinge, dass sich vieles davon am Ende nicht umsetzen ließ, aber ich hoffe, einige wenigstens sind doch wahr geworden!
Für Euch wird die Gymnasialzeit jetzt und später im Rückblick einmal eine ganz besondere sein, ein Meilenstein auf dem Lebensweg, eine gefühlt ewige Periode, von der ihr Euch jetzt vielleicht wünscht, sie möge endlich vorbei sein, an die man sich später aber immer gern erinnern wird. Das hoffe ich zumindest; ansonsten hätten Eure Lehrer und ich etwas falsch gemacht. Mir hingegen sind diese 8 Jahre wie im Flug vergangen. Bevor ich jetzt aber anfange, das Wehklagen des Alters über die immer schneller verfließende Zeit anzustimmen, besinne ich mich zuerst einmal der Grundanforderung an eine Abiturrede – ich möchte gratulieren. Ganz herzliche Glückwünsche auch im Namen des gesamten KGH möchte ich hiermit unseren 96 Abiturientinnen und Abiturienten ausdrücklich aussprechen. Mit einem Abiturdurchschnitt von 2,47 haben sie sich sehr wacker geschlagen. Das ist eines der besten Ergebnisse der letzten 10 Jahre und das habt Ihr wirklich gut gemacht!
Und wenn es auch bei einem kleinen Teil noch einmal knapp wurde, und am vergangenen Wochenende plötzlich nochmals zum eigentlich schon fĂĽr die Abgabe vorbereiteten und geistig eingemotteten Buch, zu LektĂĽre, Vokabelheft und Taschenrechner gegriffen werden musste – geschafft ist geschafft – nochmals unsere Gratulation!
Nun muss man natürlich außer Glückwünschen auch noch irgendein Thema in einer Rede zum Ausdruck bringen. Ich könnte über Schule sprechen – und da gäbe es viel zu sagen – aber das erspare ich uns allen nach 8 Jahren an dieser Stelle. Des Weiteren böte sich das Klima an, aber darüber spricht momentan sowieso jeder. Ich möchte stattdessen ein paar Worte zu einem hohen Gut – vielleicht dem höchsten – sagen, über das leider immer seltener gesprochen wird – die Freiheit.
Dafür, dass wir heute hier alle gemeinsam in Freiheit leben können, haben vor 80 Jahren vier große Alliierte gekämpft und deren Soldaten zu Millionen ihr Leben verloren. Dankbarkeit ist dafür heute nirgends mehr zu spüren. Russland belegen wir mit Sanktionen, Amerikabashing ist fast so populär wie der Klimawandel, über die Briten machen wir uns nur noch lustig, weil sie mit dem Brexit nicht vorankommen, mit Frankreich gibt es kaum noch gemeinsame Initiativen.
Aber auch die Freiheit selbst, die uns da ganz unverdient gebracht wurde, ja in den Schoß fiel – der Mehrheit von uns schon 1949, dem Rest erst 1989, ist uns selbstverständlich geworden. Wir tun wenig bis nichts, um sie festzuhalten. Dabei wusste schon Goethe: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss!“ Wir aber denken nicht ans Erobern, wir sind im Gegenteil bereit, scheibchenweise immer mehr Freiheit aufzugeben. So sind wir durchaus für unternehmerische Freiheit, solange diese – wie in den letzten 70 Jahren geschehen – unseren Lebensstandard immer weiter steigen lässt. Aber wehe, der Unternehmer erhöht uns die Miete. Dann wird bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein nach Enteignung gerufen. Macht sich denn niemand Gedanken darüber, ob man wohl, ist man erst einmal beim schönsten Enteignen so richtig in Fahrt gekommen, bei den Mietwohnungen Halt machen würde? Gibt es nicht so schöne große Autos, die man dem Nachbarn wegnehmen könnte? Hat der Fabrikant nicht eine Jacht und der Minister nicht eine Jagdhütte? Und wenn wir einmal beim Enteignen sind, warum sich eigentlich noch anstrengen, wenn das aus der Anstrengung resultierende Vermögen sowieso nicht sicher ist. Sieht so unser Wirtschaftswunder 4.0 aus?
Von den gesellschaftspolitischen Implikationen einmal abgesehen – wie viele Wohnungen entstehen eigentlich neu, wenn man die bestehenden enteignet? Natürlich keine mehr, denn welcher Idiot würde danach noch eine bauen?
Freiheit scheint man also nicht gar zu hoch zu schätzen. Wir sind für Kameras an allen möglichen Plätzen, um eine lückenlose Überwachung des öffentlichen Raumes sicherstellen zu können. Nicht selten hört man dazu noch das Argument, man selbst hätte schließlich nichts zu verbergen. Wer aber garantiert uns denn, dass das immer so bleiben wird? Dass unsere Gesellschaft so liberal bleibt, wie sie momentan gottlob noch ist. Dass nicht der linke oder rechte Rand irgendwann am Ende all dieser Kameras sitzt und kontrolliert, ob Herr Spindler noch immer mit der FAZ die falsche weil bürgerliche Zeitung liest? Oder Herr Holtkamp wieder einmal schweinerne Würste gegrillt hat?
Von Benjamin Franklin stammt das weise Zitat: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Und wenn jemand jetzt denkt, ich würde hier doch schwer übertreiben, dann werfe man gern einen Blick nach China, wo alle Parteimitglieder täglich 2 Stunden die Reden des großen Parteiführers studieren müssen. Und das wird – über die Smartphones – überwacht und bepunktet. Auch wer seine alten Eltern zu selten besucht, bei Rot über die Ampel geht oder nicht zur Elternversammlung kommt, erhält negative Sozialpunkte. Was aber haben die Eltern davon, wenn die Kinder sie nur besuchen, weil die Partei es verlangt? Was macht den Menschen aus? Vor allem, dass er sich frei entfalten kann. Wir wollen nun einmal hin und wieder bei Rot über die Ampel gehen. Wir lieben es, nicht stets und ständig jede kleinste Regel einzuhalten. Wir fühlen uns gut, wenn wir morgens noch 10 Minuten liegenbleiben können, dann zu spät kommen, den Schulleiter beim Abholen des rosa Zettels nicht grüßen und danach denken, dass wir es wiedermal der Autorität gezeigt haben. Und das, liebe Abiturienten – jetzt kann ich das ja sagen – ist schon immer so gewesen und es ist auch gut so.
Von links möchte man uns enteignen, von rechts zum Gleichschritt zwingen, beides würde unsere Freiheit begraben. Wenn es sich als wahr herausstellt, dass der Nordhessische Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Rechtsradikalen ermordet wurde, ist das ein neuer Tiefpunkt in unserer Geschichte, der an die schlimmen Zeiten der RAF in den 70ern erinnert.
Wir selbst haben es in der Hand, etwas dagegen zu unternehmen. Wir hätten nicht auf ein Gesetz zur Netzzensur warten sollen, sondern uns engagiert gegen jedweden Haßkommentar im Netz stellen sollen. Und das geht bei kleinen Mobbingfällen im Klassenchat los.
An dieser Stelle komme ich natĂĽrlich nicht umhin anzumerken, dass zur Freiheit auch gehört, sich nicht zum Sklaven von Dingen zu machen. Ein Smartphone kann sicher fĂĽr verschiedenste Anwendungen äuĂźerst hilfreich sein. Trotzdem wĂĽrde es dem einen oder anderen nicht schaden, hin und wieder zu ĂĽberprĂĽfen, ob er selbst in dieser Beziehung noch der Chef ist oder diese Rolle bereits das Gerät ĂĽbernommen hat. Ich empfehle da die Methode eines alten, gesamtschulerprobten Kollegen aus meinen Duisburger Anfängerjahren, der mich in ein langes Wochenende mit einem strahlenden Lächeln entlieĂź und mit dem Hinweis: Ich will versuchen, an einem Tag in der Woche nichts zu trinken – und in dieser Woche hab ich’s schon weg! Wer es also schaffen sollte, noch einen Tag pro Woche ohne das Teil auszukommen, bei dem ist noch nicht alles verloren. Gern beobachten wir in diesem Zusammenhang auch das Geschehen, wenn sich mal wieder jemand das Smartphone von einer allzu regelbewuĂźten Lehrkraft hat entwenden lassen. Während bei einem Beinbruch in der Turnhalle die Eltern gar nicht oder sehr spät angerufen wĂĽrden, werden diese in einem solch lebensbedrohlichen Fall innerhalb von Sekunden alarmiert, mĂĽssen selbstverständlich die Operation am offenen Herzen, oder womit sie sonst gerade beschäftigt gewesen sein mögen, umgehend pausieren lassen, zur Schule eilen und dem leidgeprĂĽften Sprössling zu seinem Besten – seinem Handy – verhelfen.
Wenn alle im selben Netzwerk unterwegs sind, bildet dieses Netzwerk ein Monopol und gewinnt Macht über uns. Wenn alle das gleiche denken, grenzen sie die wenigen aus, die anderer Meinung sind. Es gehört aber zur Freiheit dazu, nicht nur denjenigen gelten zu lassen, der denkt wie ich, sondern auch der Meinung des anderen zuzuhören.
Und schließlich – man kommt eben um das Thema Klima doch nicht ganz herum – wenn jemand möchte, dass ich in Panik verfalle, dann ist das in keiner Weise zweckdienlich. In Panik kann man nicht klar denken. In Panik tut man Dinge, die einem später leidtun. Und deswegen wünsche ich Euch: geht studieren, macht eine gute Ausbildung, lernt weiter und rettet dann unser Klima. Mit gut durchdachten, wissenschaftlichen Methoden. Mit einer weisen Güterabschätzung. Und mit der unvoreingenommenen Abwägung aller Werte. Dabei muss man die Menschen mitnehmen, denn Akzeptanz schafft man nicht durch Verbote, sondern durch faktenbasierte Überzeugung. Wenn namhafte Professoren ausrechnen, dass Deutschland mit dem Kohleausstieg die CO2-Emissionen in Europa erhöhen wird, dann ist in jedem Fall irgendetwas falsch gelaufen.
Liebe Schülerinnen und Schüler – für wenige Minuten ist das ja noch die richtige Anrede – zum guten Schluss muss man natürlich noch etwas wünschen. Um jemanden für sein zukünftiges Leben einen Wunsch mitzugeben, muss man entscheiden, wonach der Mensch eigentlich streben sollte. Das ist nicht ganz trivial. Ich wünsche Euch Weisheit. Die ist schwer zu erlangen und weder im Supermarkt noch bei Facebook zu finden. Und da auch ich noch auf der Suche nach ihr bin, möchte ich zu drei Weisheiten aus den drei großen monotheistischen Weltreligionen greifen. Mir ist bewußt, dass man darüber an einem Abend wie heute lächeln mag. Aber vielleicht gibt es später einmal Situationen in Eurem Leben, wo ihr Euch erinnern werdet.
Vom Kirchenvater Augustinus ist uns der Wahlspruch überliefert: „Gerechtigkeit, ohne Barmherzigkeit, ist Grausamkeit!
Vom Sufi-Gelehrten Al Rumi gebe ich Euch mit auf den Weg: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort werden wir uns treffen.“
Und schließlich: Im Talmud steht geschrieben: Am Tag vor Deinem Tode sollst Du umkehren. Nun sagten die Schüler zum Rabbi: „Aber Rabbi, niemand kann wissen, wann seine Stunde gekommen ist! „Nein“, sagte der Rabbi, dass kann niemand“. „Aber wie sollen wir dann wissen, wann wir umkehren müssen“? „Nun“, sprach der Rabbi, „so kehret – sicherheitshalber – heute schon um!“
Vielen Dank!
(Markus Spindler)